Die Finanz- und Wirtschaftskrise rollt weiter um den Globus.
Vielleicht bleibt China auch dieses Mal noch großteils verschont.
Doch der Blick auf die Welt wird erschüttert.
Das saubere, scharfe Bild von der Wirklichkeit ist eine Illusion.
GRÜSSE AUS CHONGQING – EIN BERICHT DER FILMGRUPPE CHAOS
Von Karsten Weber, 21 Nov 2011 09:27:30 +0100 [09:27:30 CET] (Via Email)
Wir [Filmgruppe Chaos] sind in China auf Mission.
Offiziell sind wir die Vertreter des deutschen Kurzfilms.
Unser Programm scannt das gesamte Spektrum der Szene ab und
präsentiert das Spannendste, was zu finden ist von Mainstream bis
Underground. Doch intern liegt uns ein weiteres Thema schwer am Herzen:
Der chinesische Independentfilm. Dieser wurde erst möglich durch die Verbreitung der
digitalen Kameras – und erst dadurch verlor der chinesische Staat die
Kontrolle über das Bewegte Bild im Land. Die Szene ist quirlig, subversiv
und unberechenbar. Ein Teil der Indieszene ist klar karierefixiert, wie so
viele Menschen in dem turbokaptalistischen Land unter roten Fahnen. Wir wollen
unsere Erfahrungen mit ihnen teilen.
China hatte sein eigenes 8mm Format. In dem Land mit den gewaltigen
Ausmaßen versuchte man Unterhaltung und Propaganda in die unzähligen
Dörfer zu einem möglichst günstigen Preis zu bringen. Ein
Parteitag traf dazu die Entscheidung sich bewußt vom kapitalistischen
Westen abzugrenzen: Mit 8,75mm brachte die Volksrepublik unter Mao ihren
eigenen Schmalfilm hervor. Es wurden Projektoren für lowbudget Kopien
prodziert, doch man nahm Abstand von der Idee auch Kameras zu
produzieren, denn sie könnten Waffen gegen die Verhältnisse werden. Es war
vielleicht das einzige Filmformat, das niemals für die Filmproduktion
gedacht war, nur für die Verbreitung des bewegten Bildes. Die Kopien waren
farbig, doch so grobkörnig und bunt, daß man sie heute eher für
Experimentalfilme halten würde, als für Träger klarer Informationen. Auf
den Dörfern brachten sie eine willkommene Abwechslung in das harte und
triste Leben.
Das neue Millennium brachte den Konsumrausch und gleichzeitig entwickelten
sich Jugendsubkulturen und eine vom Staat nicht kontrollierbare Filmszene.
Doch diese jungen Filmer kennen meist den chemischen Film nicht, sie sind
mit dem digitalen Bild aufgewachsen. Wir haben uns vorbereitet und die
verschiedenen traditionellen Filmformate mitgebracht und zweisprachig
beschriftet, um Anschauungsmaterial für unsere Vorträge und Workshops zu
haben. In unseren Filmprogrammen gibt es das Found Footage Werk YOU & ME
von Karsten Krause (Doppel 8 und Super 8) und von Dagie Brundert I SEE THE
SEA AND THE SEA SEES ME, Super 8 doppelbelichtet und handentwickelt. In
einer Diskussion versuchte ein Filmemacher den chemischen Film als
überflüssigen Gimmik des reichen Westens abzutun. “Damals machte es nur
deshalb Sinn, weil es eine Möglichkeit war an bezahlbare Geräte und
günstiges Material zu kommen”. Wir konnten das Argument, der alte Film sei
ein überflüssiger Luxus recht einfach entkräften: Die Erfindung der
Fotografie führte ebensowenig zur Abschaffung der Malerei, wie die
Synthesizer und Computergenierte Musik zum Ende der traditionellen
Instrumente führte. Es sind schlichtweg unterschiedliche künstlerische
Ausdrucksformen entstanden und die Wahl des Mediums bleibt eine
ästhetische Entscheidung.
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