[...] Die heute 57 Jahre alte Verena Becker war seinerzeit wegen sechsfachen Mordversuchs und räuberischer Erpressung zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nicht aber wegen des Mords an Buback und seinen Begleitern. 1989, nach zwölf Jahren Haft, wurde sie vom damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker begnadigt. Der frühere Präsident des Bundeskriminalamtes, Zachert, hat angeregt, für Frau Becker Gebrauch von der am 1. September in Kraft tretenden Kronzeugenregelung zu machen. Wenn es gelänge, sie durch einen Strafrabatt zum Reden zu bringen, könnte sie zur Aufklärung mehrerer RAF-Verbrechen beitragen, sagte Zachert der Zeitschrift „Focus“. Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge soll Frau Becker am Donnerstag nicht zu Hause gewesen sein, als Beamte sie in Berlin-Grunewald verhaften wollten. Sie habe sich dann später selbst gestellt. Nach Angaben der Berliner „B.Z.“ wurde sie in der Kanzlei ihres Anwalts verhaftet.
...
Aus: "Mordfall Buback - Bosbach fordert Schäuble zur Freigabe von Akten auf"
Von Peter Carstens, Berlin (31. August 2009)
Quelle:
http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~E6EB6EFC87D53453DA2F29B20BCB76E6C~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell-.-
[...] Als vor ein paar Tagen ein Bild-Reporter Verena Becker in Berlin aufspürte, antwortete das frühere RAF-Mitglied auf die Frage, ob sie im Frühjahr 1977 den Generalbundesanwalt Siegfried Buback erschossen habe: „Nein, das wissen sie doch.“ Inzwischen ist die 57-Jährige festgenommen worden und sitzt nun in Untersuchungshaft. Dass Becker seinerzeit die tödlichen Schüsse abgab, glaubt nicht einmal die Bundesanwaltschaft. Ihre „mittäterschaftlichen Beteiligung“ erstreckt sich mutmaßlich auf die Abfertigung der damals versandten Bekennerschreiben der RAF. Becker habe die Briefmarken beleckt, sagt der ehemalige BKA-Abteilungspräsident Wolfgang Steinke, der maßgeblich an den Ermittlungen gegen die Gruppe beteiligt war. „Aber das bedeutet doch nicht, dass sie die Tat begangen hat.“
Juristisch betrachtet spielt ohnehin anderes eine Rolle. Verena Becker ist der obersten Ermittlungsbehörde „dringend verdächtig, gemeinschaftlich mit anderen“ das Attentat auf Buback verübt zu haben – von neuen Indizien über die in den Medien viel diskutierte „Schützenfrage“ ist in Karlsruhe nicht die Rede. Am Gründonnerstag 1977 waren Buback und zwei Begleiter erschossen worden – der Auftakt der "Offensive 77", mit der die RAF die inhaftierten Gründungsmitglieder um Andreas Baader befreien wollten. Der Fortgang der Geschichte ist bekannt: Becker wurde bald verhaftet, dabei fanden die Fahnder jene Waffe, mit der einer der Begleiter Bubacks getötet worden war. Bei ihrer Verurteilung im Dezember 1977 spielte aber nur die Schießerei während der Festnahme eine Rolle - sie erhielt lebenslänglich. Das gegen sie geführte Verfahren wegen der Beteiligung am Buback-Attentat wurde 1980 „trotz eines verbleibenden Tatverdachts“ eingestellt. 1989 kam Verena Becker nach ihrer Begnadigung durch den Bundespräsidenten aus der Haft frei.
Vor zwei Jahren wurde enthüllt, dass sich Becker Anfang der achtziger Jahre im Gefängnis dem Verfassungsschutz anvertraut hat. Die damals entstandene Unterlagen – eine Fallakte und einen Auswerterbericht von 1982 – sind 25 Jahre lang geheim geblieben und im Januar 2008 für immer gesperrt erklärt worden. Unter Berufung auf die Strafprozessordnung, nach der eine Weitergabe von Material dann nicht gefordert werden könne, wenn „das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“. Nicht einmal die Bundesanwaltschaft kam an die Papiere. Seither fragen sich viele, was denn in den Unterlagen so Staatsgefährdendes stehen mag. Und was der Verfassungsschutz möglicherweise zu verbergen hat.
Immerhin ist eine Verwicklung der Geheimdienste keinesfalls so abwegig. „Verbindungen bundesdeutscher Nachrichtendienste mit Terroristen gab es mehr, als man dachte“, meint der Rundfunkjournalist Thomas Moser. In den Hinterlassenschaften des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit fand sich vor einiger Zeit ein Vermerk der Spionageabteilung HA II von 1978, nach dem Erich Mielkes Mitarbeitern „zuverlässige Informationen“ vorgelegen hätten, „wonach die B. seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird“. Das frühere Mitglied der „Bewegung 2. Juni“, Bommi Baumann, der Becker nach eigenen Angaben für die Gruppe rekrutiert hatte, ließ in einem Interview durchblicken, er könne sich „vorstellen, dass sie während ihrer ersten Gefängnisstrafe 1974 umgedreht wurde“. Und der Sohn von Siegfried Buback, Michael, warf in einem vergangenes Jahr erschienenen Buch die Frage auf, ob es womöglich schon vor dem Gründonnerstag von 1977 ein Zusammenwirken gegeben hat. „Man kann somit nicht ausschließen, dass es Kontakte zwischen Terroristen und Geheimdiensten schon vor dem Attentat gab“, so Michael Buback.
Alles nur konstruiert? Es ist nicht zu erwarten, dass die Behörden auf eine Klärung dieser Frage drängen. Im Gegenteil: Vielleicht ist die jetzt erfolgte Festnahme Beckers auch eine Maßnahme, um genau das zu verhindern. Eine „Reihe von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen“ hatten unlängst zu einer Hausdurchsuchung bei Becker geführt. In den Medien wird berichtet, aus abgehörten Telefonaten und gefundenen Aufzeichnungen gehe hervor, dass Becker ihre Erinnerungen an das damalige Geschehen habe niederschreiben wollen. Möglich, dass dann mehr ans Licht gekommen wäre, als ein paar neue Details zum Hergang des RAF-Attentats auf Siegfried Buback.
Aus: "Die Akte Becker" RAF | 29.08.2009 12:58 | Tom Strohschneider
Quelle:
http://www.freitag.de/politik/0935-raf-verena-becker-verfassungsschutz-.-
[...] "Wenn die Akten damals der Generalbundesanwaltschaft gezeigt wurden, warum macht man das jetzt nicht auch?", sagte der FDP-Politiker Gerhart Baum der "Welt am Sonntag". Das Bundesinnenministerium verwies am Wochenende in diesem Zusammenhang auf die Bundesanwaltschaft: "Wir sind offen für eine Prüfung des Sperrvermerks", sagte ein Sprecher des Ministeriums. Es gäbe aber "derzeit keine Anforderung der Bundesanwaltschaft, die eine solche Prüfung notwendig macht."
Das Innenministerium hatte im Januar 2008 nach einer Interessenabwägung eine Sperrerklärung gemäß Paragraf 96 der Strafprozessordnung abgegeben. Danach kann die Auslieferung von Akten bei Behörden unterbunden werden, wenn deren oberste Dienstbehörde erklärt, dass die Veröffentlichung "dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde". Offenbar gibt es Bedenken, dass bei einer Veröffentlichung der Akten Details über die Arbeit deutscher oder ausländischer Geheimdienste bekannt würden, die auch nach einem Vierteljahrhundert vertraulich bleiben müssten.
Auch FDP-Generalsekretär Dirk Niebel rief Innenminister Wolfgang Schäuble auf (CDU), sämtliche Akten über den Mord an Buback offenzulegen. "Gerade bei neuen Indizien ist es zwingend notwendig, dass die Akten genutzt werden, um zu klären, wer Buback ermordet hat, sagte Niebel dem "Hamburger Abendblatt". Ähnlich argumentiert Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach (CDU), der ebenfalls eine Freigabe der Akten fordert. Der Vorwurf, dass der Staat Akten zurückhalte und die Tat deshalb nicht restlos aufgeklärt werden könne, sei massiv und "muss entkräftet werden", sagte er im ZDF. Er sei sicher, dass Schäuble das "sehr, sehr sorgfältig prüfen wird".
Bubacks Sohn Michael zeigte sich erleichtert über die Festnahme Beckers. Es gäbe "kaum Zweifel an einer Mittäterschaft von Verena Becker", sagte er der WELT. Anders als die Bundesanwaltschaft, die nach wie vor keine Beweise dafür sieht, dass Becker die tödlichen Schüsse von einem Motorrad aus abgefeuert hat, verwies Buback erneut auf mehrere Zeugen, die sich an ihn gewandt hätten und die unabhängig voneinander eine zierliche Person auf dem Motorrad erkannt hätten. Das solle eine Frau gewesen sein. In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" wird über eine Aussage von einer dieser Zeuginnen berichtet, die weitere bislang unbekannte Details über den Tag des Attentats schildert.
Buback sagte, diese Zeugin sei nie zu einer Gegenüberstellung gerufen worden und tauche in keiner Prozessakte auf. Für ihn ergebe sich deshalb ein "sehr hoher Verdacht" gegen Becker als Todesschützin. Er hoffe nun, dass es zu einer Anklage und einem Prozess komme, um ihren Tatbeitrag zu klären.
Der Haftbefehl der Bundesanwaltschaft stützt sich auf andere Indizien: DNA-Spuren Beckers an Briefumschlägen der Bekennerschreiben nach dem Buback-Mord sowie Unterlagen, die bei der Durchsuchung ihrer Wohnung beschlagnahmt worden waren. Darunter waren auch handschriftliche Notizen, wie aus Sicherheitskreisen verlautete. Weitere Einzelheiten wurden offiziell nicht mitgeteilt. Der "Spiegel" berichtete, es habe sich um Notizen eines "Selbstgesprächs" gehandelt, in denen sich Becker mit dem Mord an Buback und der Schuldfrage auseinandersetzt. Das Papier trage das Datum des 7. April dieses Jahres - der 32. Jahrestag des Anschlags auf Buback in Karlsruhe. Becker stelle unter anderem die Frage, ob sie für Buback beten und wie sie sich mit dem Thema Schuld auseinandersetzen solle.
Die Polizei hatte zuvor im Rahmen eines seit April 2008 laufenden Ermittlungsverfahrens Beckers Telefon abgehört. Dabei gewannen die Beamten den Eindruck, dass die seit 20 Jahren aus der Haft entlassene Becker ihr Leben reflektieren wolle. Zur Hausdurchsuchung rückten die Beamten allerdings erst an, als sich Becker über Verschlüsselungsverfahren für ihren Computer erkundigte. Vor ihrer Festnahme soll sie zudem mit dem Gedanken gespielt haben, nach Griechenland zu fliehen, hieß es.
Verena Becker war 1977 wegen sechsfachen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt worden, nicht aber wegen des Mordes an Buback. Diese Ermittlungen waren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Becker hatte nach vier Jahren Haft 1982 mit dem Verfassungsschutz kooperiert. Aus der geheimen Vernehmungsakte ist bekannt, dass sie ihre RAF-Kumpane Stefan Wisniewski und Christian Klar der unmittelbaren Tatbeteiligung bezichtigt. 1989 gab der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker einem Gnadengesuch Beckers statt.
DW
Aus: "Mordfall Buback: Verfassungsschutz soll Akten öffnen" (31. August 2009)
Quelle:
http://www.welt.de/die-welt/politik/article4430605/Mordfall-Buback-Verfassungsschutz-soll-Akten-oeffnen.html-.-
[...] Der Aktenvermerk ist nur vierzehn Zeilen lang, aber wenn der Inhalt zutreffend wäre, müsste die Geschichte der Bundesrepublik umgeschrieben werden.
Am 2. Februar 1978 tippte der Stasi-Major Siegfried J. eine Notiz über die "BRD-Terroristin" Verena Becker: "Es liegen zuverlässige Informationen vor, wonach die B. seit 1972 von westdeutschen Abwehrorganen wegen der Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppierungen bearbeitet bzw. unter Kontrolle gehalten wird. Diese Informationen wurden durch Mitteilungen der HVA von 1973 und 1976 bestätigt".
Übersetzt hieße das: Schon als blutjunge Anarchistin, dann als Mitglied der Bewegung 2. Juni und später der RAF soll die im Juli 1952 in Berlin geborene frühere Terroristin heimlich mit dem westdeutschen Verfassungsschutz kooperiert haben. Der Begriff "unter Kontrolle gebracht" meint eigentlich "Zusammenarbeit".
Da Verena Becker nach dem Mordanschlag auf den früheren Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dessen beide Begleiter im April 1977 die Bekennerbriefe in der Hand hatte, wären westdeutsche Nachrichtendienste quasi mit einer Quelle dabei gewesen. "Mord im Staatsauftrag" würde die weitere Fortsetzung dieser wüsten Verschwörungstheorie lauten.
Die These erscheint ebenso unsinnig wie viele der Theorien über den Buback-Mord, die in den vergangenen Wochen verbreitet wurden. In der insgesamt 215 Blatt umfassenden Stasi-Akte über die einstige RAF-Terroristin, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, finden sich keine weiteren Hinweis auf irgendeine angebliche Zusammenarbeit von Verena Becker mit dem Verfassungsschutz vor ihrer Festnahme im Mai 1977. Auch gibt es in den zahlreichen anderen Akten über den westdeutschen Verfassungsschutz oder über RAF-Leute nichts, was diesen üblen Verdacht weiter nähren könnte.
Es gibt nur eine Erklärung: Der Stasi-Major Siegfried J., ein gelernter Modellbauer, dessen Notiz jetzt Verwirrung stiftet, hatte sich missverständlich ausgedrückt. Dabei war er eigentlich ein erfahrener Mann: Seit 1954 war er für die Stasi im Einsatz und arbeitete im Referat 2 der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).
Zu den Aufgaben dieser Abteilung, die in Berlin-Lichtenberg ihren Dienstsitz hatte, gehörte unter anderem die Spionageabwehr, aber auch die Absicherung chilenischer Emigranten in der DDR. Das Referat 2 war das "operative Leitzentrum" dieser Abteilung.
Die Akte der Stasi über die ehemalige Terroristin, die wegen einer angeblichen Beteiligung am Mordanschlag auf Buback seit ein paar Tagen in der Justizvollzugsanstalt Bühl einsitzt, ist dennoch ein Stück deutscher Geschichte. Die Unterlagen zeigen, dass sich das MfS ähnlich intensiv wie die westdeutschen Fahnder für die RAF-Kämpfer im Untergrund interessierte und dass sie damals über hervorragende Zuträger im westdeutschen Sicherheitsapparat verfügte.
Viele Seiten füllen Berichte über die Großfahndung in der Bundesrepublik nach dem Buback-Attentat. Minutiös wird aufgeführt, wer nach wem fahndete. Die eigenen Quellen wurden einerseits wegen der "verstärkten Fahndungsmaßnahmen" gewarnt, andererseits sollten sie Informationen über die Hintergründe des Terroranschlags liefern.
Das MfS hatte diverse Inoffizielle Mitarbeiter in der autonomen Szene des Klassenfeindes platziert. Die Akten "Stern" I und II der Stasi etwa enthielten viel Wissen über die RAF-Kader im Westen und auch über die Aussteiger in der DDR. Denn nach der Wende stellte sich heraus, dass Ost-Berlin zehn RAF-Mitgliedern der zweiten Generation eine Art Exil geboten hatte.
Über die "Telefonistin" Verena Becker, deren Alias-Namen "Sola", "Pohlmann" und "Telse" in den Akten genannt werden, findet sich früh die Einschätzung, sie sei "charakterlich weich veranlagt", "politisch ungebildet" und verfüge über "keinen eigenen Standpunkt". Sie habe sich zwar "an verschiedenen terroristischen Unternehmungen beteiligt, wurde jedoch von der Gruppe eher als Belastung angesehen".
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Aus: "Die Notizen des Stasi-Majors - Verena Becker und die Stasi" Von Hans Leyendecker (01.09.2009)
Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/politik/715/486134/text/-.-
[...] Es gab, so Bubacks These, das deutliche Bestreben weniger Personen in Geheimdienst und Strafverfolgungsbehörden, Verena Becker möglichst aus dem Verfahren herauszuhalten. Warum, das ist noch nicht klar. Man kann auch die These prüfen, ob diese Personen weniger Becker als vielmehr sich selbst schützen wollten, womöglich hatte es früher einmal Kontakte der Dienste zu ihr gegeben - die „Bewegung zweiter Juni“ war durchsetzt mit Spitzeln -, und wie stünden die da, mit einer V-Frau, die die Seiten wechselt und den Generalbundesanwalt angreift?
Das alles belastet die Vorstellungskraft, auch die Michael Bubacks. Sehr lange hätte man sich schwergetan, einen systemkonformeren Bundesbürger zu finden, also ist sein Buch auch ein Bildungsroman, der den Weg beschreibt vom CDU-nahen Chemieprofessor in den besten Jahren, der sich von der Bundesanwaltschaft, der Behörde seines Vaters, bestens betreut fühlt, zu einem Skeptiker. Für viele ist er schlicht ein Querulant.
[...] Bis letzte Woche gab es in Deutschland kaum einen verloreneren Posten als das private Arbeitszimmer, in dem er mit seiner Frau Elisabeth die Akten, Briefe und Zeitungsausschnitte auswertet.
Nach dem Besuch bei den Bubacks wollte ich mich ein wenig umhören, nicht weil die Welt durch mehr Gefängnis für Verena Becker, deren Leben man sich nicht wünscht, eine bessere würde, sondern weil mich der Gedanke ärgert, dass einige Ermittler und RAFler Spezialwissen horten und die Öffentlichkeit mit einer frommen Legende abspeisen. Siegfried Buback wurde ja nicht infolge eines obskuren Familienkrachs erschossen oder weil er ein schlechter Mensch war, sondern als Repräsentant der Bundesrepublik Deutschland. Und darum haben alle Bürger einen Anspruch auf die Wahrheit.
Irgendwann hatte ich Knut Folkerts am Telefon. Aus Nachforschungen des „Spiegels“ hatte sich ergeben, dass er am Gründonnerstag 1977 nicht in Karlsruhe war und in diesem Punkt wenigstens zu Unrecht verurteilt worden war. Er war sachlich, gut informiert und schien sich leise zu ärgern, wenn sich im Gespräch ergab, dass er diesen oder jenen Artikel zum Fall übersehen hatte. Später schrieb er mir, dass er sich nicht äußern wolle. Er schrieb nicht, dass er nichts zu sagen habe. Ähnlich reagierte Gerhard Boeden, der ehemalige Ermittler und spätere Präsident des Verfassungschutzes: Reizender Brief auf feinem Papier, alles Gute - aber er äußere sich nicht in der Öffentlichkeit.
Ich sprach mit Hans-Jochen Vogel, der große Sympathie für das Schicksal eines verwaisten Sohnes äußerte, zugleich aber den klugen Einwand formulierte, was denn Terroristen, die den Staat hassen, daran hindern sollte, etwaiges die staatlichen Organe belastendes Wissen für sich zu behalten?
Ich sprach mit Journalisten, die seit Jahren in der Szene unterwegs sind, mit Filmemachern und Autoren. Obwohl viele an diesem wie an allen RAF-Verfahren jede Menge auszusetzen hatten, wollte niemand Bubacks These folgen. Warum, fragten alle, sollten Organe des Staates eine Mörderin decken? Das war schlicht nicht vorstellbar. Und weil man sich das Unvorstellbare sehr gerne nicht vorstellt, empfand ich es als ironische Provokation der Geschichte, dass in diese Zeit die Kurras-Enthüllung fiel: Zwei Prozesse hatten nicht aufdecken können, dass der Mörder von Benno Ohnesorg ein Stasispion war. Die deutsche Geschichte steht auch in der Vergangenheit, wo sie daliegt wie eine Schieferplatte, nicht wirklich still, sie schlägt aus und greift nach uns.
Ich schrieb dem Bundestagspräsidenten, und er rief zurück. Norbert Lammert ist einer der wenigen, die sich für die RAF-Opfer interessieren, bei Buback hatte er sich zusätzliche Mühe gegeben und Juristen gebeten, dessen These nachzugehen. Es gebe aber in den Akten und Unterlagen, so deren Schlussfolgerung, keine Anzeichen für eine behördliche Vertuschung zugunsten einer Frau. „Zum Glück, nicht wahr?“ Ich stimmte ihm zu, fühlte mich aber nicht glücklich.
Polizei und Justiz sind weitgehend geschlossene Referenzsysteme. Ihre Akten beruhen auf anderen Akten, Wahrheit wird attestiert, wenn die Texte sich nicht widersprechen. Eine Frau, die es in den Ermittlungsakten nicht gibt, kann von den besten Staatsanwälten nicht angeklagt werden. Und eine fehlende Anklage führt nicht zu einem Fehlurteil. Man musste nur der Weisheit von Kurt Tucholsky über das Redigieren folgen: „Was gestrichen ist, kann bei der Kritik nicht durchfallen.“
Das fiel umso weniger auf, als die rechtsstaatliche Gesamtbilanz ausgeglichen war: Es wurden Personen für den Mord an Siegfried Buback und seinen Begleitern verurteilt, und die von Michael Buback Verdächtigten sind ebenfalls verurteilt worden. Wer sollte sich beschweren? So gingen Jahrzehnte ins Land, bis Michael Bubacks Buch erschien. Berichte darüber erinnerten Zeugen daran, dass ihre Beobachtungen ja gar nicht in die Strafverfahren eingeflossen waren.
Nach einer Lesung in Karlsruhe bekam Michael Buback den Brief einer Dame überreicht. Als er ihn gelesen und mit ihr gesprochen hatte, rief er mich an. Erst stellte er mir, mit dem Unterton von einem, der ein kniffliges Rätsel zu bieten hat und sich schon freut, wie sich sein Gegenüber blamieren wird, eine Frage. Sie betreffe das berühmte Foto, das auch auf dem Umschlag seines Buches zu sehen sei: „Wie kommt die Leiche von Wolfgang Göbel, dem Fahrer des Dienstwagens, auf die Kreuzung, während der Wagen ganz woanders steht?“
Ich hatte dieses Foto x-mal gesehen, dachte, ich würde es kennen und auch die Geschichte, die es erzählt. Und doch konnte ich diese Frage nicht schlüssig beantworten. Wenn sich die Fahrertür infolge des Beschusses geöffnet hat, warum wurde die Leiche dann nicht mitgeschleift? Es bestand schon Anschnallpflicht.
Buback stellte den Kontakt zur Autorin des Briefes her, und so hörte auch ich vor wenigen Tagen eine Version, die diese Fragen löst. Die Dame sprach mit einem weichen, süddeutschen Akzent. Sie war damals 32 Jahre alt und arbeitete als Sachbearbeiterin in der Verwaltung. Ihr Dienstzimmer überblickte die Kreuzung, an der Siegfried Buback und seine beiden Begleiter ermordet wurden.
Es waren viele Schüsse. Nachdem das Morden vollendet war, drehten sie, das ist oft nachgestellt worden, mit ihrer Suzuki zwei Runden um den Wagen und fuhren weg. Dann aber - das stand bislang nirgendwo zu lesen - stieg Wolfgang Göbel aus: „Er trug einen dünnen grauen Anzug, vielleicht eine Uniform. Keinen Mantel. Ich dachte noch, es ist doch so kalt, ohne Mantel.“ Der Gründonnerstag 1977 war ein besonders kalter Tag. Göbel, der tödlich verwundet war, hielt sich von außen an der Fahrertür fest, richtete sich auf und schrie mehrmals laut nach seiner Mutter.
„Wer“, fragte sie am Telefon leise, „sollte so etwas erfinden?“
Dann sank er zu Boden, während der Wagen mit Standgas weiterrollte - eine Beobachtung, deren technische Möglichkeit bei diesem Wagentyp Michael Buback akribisch verifiziert hat und in der Taschenbuchausgabe seines Buches erläutert.
Dass die bewegenden letzten Augenblicke von Wolfgang Göbel nie Eingang gefunden haben in all die Darstellungen des RAF-Terrors, zeigt einmal mehr, wie verhuscht die Seite der Opfer stets betrachtet worden ist. Aber die Brisanz der Zeugenaussage liegt gar nicht in dieser Beobachtung. Sie liegt in der Beschreibung, die diese Dame von der Person gibt, die geschossen hat: „Ich dachte, die Frau muss beim Zirkus gewesen sein. So gelenkig.“ Und sie dachte: „Was für eine Brutalität, für eine Frau.“ Keine Sekunde hat sie daran gezweifelt, dass der Schütze eine Schützin war.
Vor wenigen Tagen hat sich die Witwe eines Richters gemeldet, auch sie hat das Motorrad auf dem Weg nach Karlsruhe gesehen, auch sie gibt an, hinten habe eine Frau gesessen. Lauter geöffnete Quellen.
Und dennoch verbrachte Michael Buback noch die vergangene Woche in der gewohnten, blöden Lage: Ein ehemaliger hoher BKA-Beamter hatte in einem Leserbrief behauptet, der Mord an Buback sei doch aufgeklärt, unklar sei nur, „wer den Finger krumm gemacht habe“.
[...] Die Nachricht von Beckers DNA-Spuren an den Bekennerschreiben kam zuerst. Wir rätselten, was diesen neuen Ermittlungsschub der Bundesanwaltschaft ausgelöst haben mochte. Nach Bubacks letzten Informationen arbeitete man dort doch bereits daran, das Verfahren gegen Becker einzustellen. Ob es die Bundeskanzlerin war, die das Aufklärungsversprechen, das sie ihm gegeben hat, nun wahr macht, fragte ich. Michael Buback fand mich albern.
Heute wissen wir, es war nicht Angela Merkel, es war Verena Becker selbst, die die Ermittler elektrisierte, als sie am Telefon von ihrer Absicht sprach, eine völlig neue Waffe einzusetzen: Sie wolle „die Buback-Geschichte“ aufschreiben, in einem Buch. So entstand eine Dynamik, die kein DNA-Test, keine Zeugenaussage und keine behördliche Eingabe zu entfesseln vermochte.
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Aus: "Die Einsamkeit des Michael Buback" Von Nils Minkmar (30. August 2009)
Quelle:
http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E12F29AFEB5BB48CF871435FDA3D810AC~ATpl~Ecommon~Scontent.html-.-
[...] Eine damals 32 Jahre alte Rechtsanwaltsgehilfin beobachtete am Mordtag von einem nahe gelegenen Verwaltungsgebäude aus, wie zwei Personen auf einem Motorrad Bubacks Dienstlimousine mehrmals umkreisten, und die hintere Person mindestens zehn Schüsse abgab. Ihr sei aufgefallen, wie sich diese "kleine Person fast artistisch" bewegt habe, sagte die Zeugin dem stern. Nach ihrer Wahrnehmung habe es sich höchstwahrscheinlich um eine Frau gehandelt. Bei dem Attentat am 7. April 1977 waren neben Siegfried Buback auch dessen Fahrer Wolfgang Göbel und der Justizwachtmeister Georg Wurster getötet worden. Als die Augenzeugin im Januar dieses Jahres von der Bundesanwaltschaft vernommen wurde und sie dabei das Protokoll ihrer Aussage vom 7. April 1977 zu lesen bekam, sei ihr aufgefallen, dass "nur wenige Worte" darauf von ihr gewesen seien.
Ähnlich sei es einem anderen Zeugen ergangen, berichtet der stern weiter. Der heute 46-jährige Beamte und sein Vater hatten nach eigener Darstellung zwei Personen auf dem späteren Tatmotorrad am Vortag des Attentats in der Nähe des Karlsruher Schlossparks gesehen, wo sich zur gleichen Zeit der seiner Familie persönlich bekannte Generalbundesanwalt Siegfried Buback und dessen Ehefrau aufgehalten hätten. Sowohl er als auch sein Vater hätten die Person auf dem Rücksitz des Motorrads als zierlich und nicht größer als 1,65 Meter wahrgenommen, "wahrscheinlich eine Frau", sagte der Zeuge dem stern. Als sie sich nach dem Attentat bei der Polizei gemeldet hätten, seien sie nur eine Viertelstunde lang vernommen worden. Bei einer erneuten Vernehmung durch die Bundesanwaltschaft im Jahr 2007 sei ihm und seinem Vater die Aussage von damals vorgelesen worden. Diese "stimmte von vorne bis hinten nicht", sagte der Zeuge dem stern. Auch sie sei nicht unterschrieben gewesen.
Die Augenzeugen hatten sich bei Michael Buback gemeldet, dem Sohn des verstorbenen Generalbundesanwalts, der den Tod seines Vaters recherchiert und ein Buch darüber geschrieben hat. Buback hatte daraufhin den Kontakt zur Bundesanwaltschaft hergestellt. Alle drei Zeugen wären nach eigenen Angaben bereit, auch unter Eid auszusagen.
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SirExekutive (01.09.2009, 17:06 Uhr)
bewusste vertuschung
um die wahren verantwortlichen aus den staatsapperaten zu schützen. in einem anderen artikel bezüglich diesen vorfalls habe ich bereits auf die verbindung zu staatlichen organen hingewiesen. dieser kommentar wurde dann aber kommentarlos gelöscht. interessanterweise gab auf focus.de 2 tage später einen artikel der auf die gleiche ebene abgezielt hat -da hieß es das die neu beschuldigte -verena becker- seit 1972 mit dem verfassungsschutz in kontakt stand. der mord geschah dann 1977. [...] die 3. generation der raf war eine strohpuoppenorganisation, welche benutzt wurde um im falschen mantel politische morde tätigen zu können!
Aus: "Buback-Attentat: RAF-Ermittler nahmen Zeugenaussagen falsch auf " Autor ? (1. September 2009)
Quelle:
http://www.stern.de/politik/deutschland/buback-attentat-raf-ermittler-nahmen-zeugenaussagen-falsch-auf-1506510.html-.-
[...] Die Namen Zimmermann, Beckurts, von Braunmühl, Herrhausen und Rohwedder stehen für die unaufgeklärten Morde jener Zeit, als die Behörden die RAF aus den Augen verloren. Die Nachfolger der Mohnhaupts und Klars haben kaum Spuren hinterlassen, die Täter versiegelten ihre Hände mit Wundspray, zündeten Sprengsätze, wie im Fall Herrhausen, mit einer Infrarotlichtschranke. Die Kriminaltechnik wird hier kaum dazu führen, die Täter zu finden.
Helfen könnten die Aussagen der einstigen Terroristen. Doch die meisten schweigen. Versteinert, verbittert, versuchen sie, ihre Welt zu retten. Elf ehemalige Terroristen hat der zuständige Bundesanwalt nun im Fall Buback befragt, keiner hat geredet.
Wir wissen nicht alles....
heinz Kaiserbubu (Kaiserbubu) 30. August 2009
[...] Dass die RAF, zumindest in der 3. Generation ein „Phantom“, sei, eines das Geheimdienstlegenden zugrunde liegen könnte, hat nicht nur ein Gerhard Wisnewski („Das RAF-Phantom“) vermutet. Auch Buback denkt längst in diese Richtung. Die Frage scheint ihm nur noch: welcher Geheimdienst und zu welchem Zweck? Die Morde an Rohwedder und Herrhausen passen jedenfalls nicht so ohne weiteres in eine linksterroristische Matrix. Herrhausen wollte ein Schuldenmoratorium für die 3. Welt, das wäre eine alte antiimperialistische Forderungen gewesen, und Rohwedder wollte das „Volksvermögen“ der DDR nicht verhökern, sondern zunächst sichern – vielleicht in deutscher Hand, wie die internationale Konkurrenz hier unkte. Rohwedder und Herrhausen – beide Großdeutsche Politiker gar? Wem könnte das vielleicht noch weniger gefallen haben, als einer terroristischen Linken?
Aus: "RAF - Schuld und Schweigen" Von Markus Wehner (30. August 2009)
Quelle:
http://www.faz.net/s/Rub7FC5BF30C45B402F96E964EF8CE790E1/Doc~E7FACE7F0A21C4675965BA0592D8250EE~ATpl~Ecommon~Scontent.html-.-
[...] Das RAF-Phantom ist ein 1992 im Droemer Knaur-Verlag erschienenes Sachbuch der Journalisten Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker. Es ist wegen seiner Thesen zur sogenannten dritten Generation der Rote Armee Fraktion äußerst umstritten. Nach der zentralen Aussage des Buchs seien die von 1985 bis 1991 durchgeführten Terroranschläge nicht von der RAF, sondern von Geheimdiensten begangen worden. Kritiker des Buches bewerten dies als Verschwörungstheorie.
Die Autoren wurden von ihren journalistischen Recherchen im Mordfall Alfred Herrhausen (1989) zu dem Buch angeregt. Der damalige Kronzeuge der Bundesanwaltschaft, Siegfried Nonne, hatte in einem von den Autoren erstellten Beitrag des WDR-Magazins Monitor 1992 sein gesamtes Geständnis widerrufen. Darin hatte er zuvor mehrere mutmaßliche RAF-Mitglieder schwer belastet. Bei ihren weiteren Recherchen sammelten die Autoren umfangreiches Material an Zeugenaussagen und offiziellen Ermittlungsergebnissen. Dabei stießen sie auf – ihrer Meinung nach – starke Unstimmigkeiten in den offiziellen Untersuchungsergebnissen. Dies führte zu weiteren Recherchen über frühere Morde der RAF, bei denen die drei Journalisten ähnliche Unstimmigkeiten wie im Fall Herrhausen zu erkennen glaubten. Weil sie offenbar Zugang zu geheimen Behördenunterlagen gehabt hatten, wurden sie in der Folge das Ziel staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen und Hausdurchsuchungen.[1] Das Buch erschien 1997 in einer überarbeiteten zweiten Auflage.
Die Thesen der Autoren lassen sich wie folgt zusammenfassen:
* Die Mitglieder der ersten und zweiten Generation der RAF hatten z.B. bei Banküberfällen und Konfrontationen mit der Polizei deutliche Spuren hinterlassen, die jeweils nach spätestens wenigen Jahren zu ihrer Verhaftung führten. Dabei waren sie zuvor meist längere Zeit von den Behörden observiert worden. Laut den Autoren hätten die Mitglieder der dritten Generation dagegen praktisch keine Spuren hinterlassen und nach Angaben der Behörden über mehrere Jahre quasi als Phantome innerhalb der Gesellschaft gelebt, wobei die Ermittler lange Zeit fast völlig im Dunkeln tappten. Dies sei ein auffallender Widerspruch, zumal der Ermittlungsapparat im Laufe des Kampfs gegen die RAF immer effektiver geworden sei und daher die schlechten Ergebnisse unglaubhaft seien.
* Es wurden kaum Mitglieder der sogenannten dritten Generation der RAF lebend gefasst. Mehrere mutmaßliche Mitglieder starben bei Verhaftungsversuchen, etwa Wolfgang Grams und Horst Ludwig Meyer. Konkrete Tatvorwürfe gegen lebend gefasste Verdächtige erwiesen sich später zum Teil als nicht haltbar und wurden fallengelassen, zum Beispiel in den Fällen Andrea Klump und Christoph Seidler. Dies stehe laut den Autoren in auffallend starkem Gegensatz zur Geschichte der vorigen Generationen der RAF, deren Mitglieder jeweils zum größten Teil verhaftet und nach aufwändigen Verfahren zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Dagegen ist nur ein Mitglied der dritten Generation für der RAF zugeschriebene Morde verurteilt worden, Birgit Hogefeld. Laut den Autoren basiere das Urteil in ihrem Fall auf einer Reihe fragwürdiger Indizienbeweise, zum Beispiel einem graphologischen Gutachten.
* Im Gegensatz zu den früheren RAF-Terroristen hinterließ die dritte Generation praktisch keine verwertbaren Spuren an den Tatorten. Dementsprechend seien die einzigen Beweise für die Täterschaft der RAF die Bekennerschreiben. Laut den Autoren sollen diese Schreiben keine Merkmale aufweisen, die nicht auch eine beliebige dritte Person hätte produzieren können, und die sie als authentisch identifizieren. Vielmehr weisen angeblich mehrere Indizien in den Schreiben auf eine Fabrikation durch Dritte hin. Zudem sei die Echtheit der Bekennerschreiben von den Behörden jeweils in auffallend kurzer Zeit bestätigt worden, ohne dass vorher kriminaltechnische Untersuchungen durchgeführt worden wären.
* Die offiziellen Ermittlungsergebnisse in den entsprechenden Mordfällen seien von so vielen Ungereimtheiten geprägt, dass dies auf zielgerichtete Manipulation von dritter Seite schließen lasse.
* Die Anschläge der dritten Generation hätten darüber hinaus eine sehr hohe Präzision und aufwändige Planung erfordert, die die Fähigkeiten einer aus autodidaktischen Terroristen bestehenden Terrorgruppe deutlich überstiegen habe.
* Die meisten Mordopfer hätten berufliche Hintergründe gehabt, die eine Ermordung durch Dritte plausibel erscheinen ließen. Laut den Autoren seien diese vermeintlichen Motive in mehreren der Mordfälle ähnlich und deuteten angeblich auf ausländische Geheimdienste als eigentliche Täter. Dabei nennen sie als ihren Hauptverdächtigen die CIA, deren Verstrickung in ähnliche Operationen bereits mehrfach nachgewiesen sei. Als Beispiel nennen die Autoren die als Strategie der Spannung bekannt gewordenen Vorgänge in Italien. Dort wurden eine Anzahl terroristischer Anschläge der 1970er und 1980er Jahre, die ursprünglich den Roten Brigaden angelastet worden waren, ab 1984 erneut untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die eigentlichen Täter mit der NATO-Organisation Gladio und italienischen Geheimdiensten kooperierende Rechtsextremisten waren. Außerdem stellte sich heraus, dass die Roten Brigaden zum Teil von Geheimdienstmitarbeitern unterwandert waren.
Kritik:
Das Buch wird nicht nur wegen der weithin als höchst unglaubhaft wahrgenommenen These, sondern auch wegen des teilweise meinungslastigen Schreibstils kritisiert. Nur wenige Kritiker haben sich detailliert auf inhaltlicher Ebene mit dem Buch auseinandergesetzt, etwa der damalige taz- und spätere Spiegel-Redakteur Gerd Rosenkranz. Er monierte in seiner in der taz erschienenen Rezension eine ganze Reihe von Detailfehlern – von denen er allerdings nur zwei belegte – und gab ein äußerst negatives Gesamturteil ab [2]. Einer seiner Hauptkritikpunkte war, dass Tatsachen verdreht und einseitig präsentiert würden, damit sie zur These der Verfasser passen. Der Regensburger Politikwissenschaftler Alexander Straßner ordnet die Aussagen des Buchs als Verschwörungstheorie ein.[3]
Nachspiel:
Im Jahr 1995 stellte die Bundestagsfraktion der Grünen eine kleine parlamentarische Anfrage mit dem Titel Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden[4] an die Bundesregierung, die die Darstellung der Behörden zum Mord an Alfred Herrhausen hinterfragte. Sie bezog sich in wesentlichen Teilen auf Aussagen des Buchs.
In einem Gespräch mit dem Magazin Der Spiegel lehnte Birgit Hogefeld, die ehemalige Lebensgefährtin des verstorbenen RAF-Mitglieds Wolfgang Grams, eine Antwort auf die Frage nach einer möglichen persönlichen Beteiligung an den Morden an Herrhausen und Rohwedder ab[5]. Direkt auf das Buch angesprochen, und ob es in RAF-nahen Kreisen ernsthaft diskutiert worden wäre, meinte sie:
„Im RAF-Umfeld nicht. In den linksradikalen Zusammenhängen, die ich kenne, hatte dieser Unsinn nie eine Bedeutung. Aber natürlich hing die Tatsache, daß das überhaupt jemand ernst nahm, damit zusammen, daß die RAF in den achtziger Jahren von der legalen Linken sehr isoliert war. So wurde das auch diskutiert: als Ergebnis eigener Fehler.”
Zumindest die Kritik der Autoren an der von den Behörden vertretenen Version zum Herrhausen-Mord wurde bestätigt, als diese Ende der 1990er nach und nach zusammenbrach. Mittlerweile sind die ursprünglich Beschuldigten, Christoph Seidler und Andrea Klump, durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Generalbundesanwalts von der Verantwortung für die Tat und vom Vorwurf der RAF-Mitgliedschaft entlastet.
Aufgrund einer im Jahre 2001 durchgeführten DNA-Analyse von Haarspuren am Tatort der Ermordung Rohwedders, die eine Zuordnung zu Grams erbrachte, deutete sich erstmals eine konkrete Widerlegung der im Buch vertretenen Thesen an.[6] Die Bundesanwaltschaft benannte Grams allerdings ausdrücklich nicht als Tatverdächtigen, da sie dieses Indiz als nicht ausreichend bewertete.[7] Zudem wurden von einigen Seiten Zweifel an der Aussagekraft der Haarspur geäußert. Dies beruhte unter anderem auf Zweifeln an der wissenschaftlichen Qualität des Untersuchungsergebnisses[8] und auf dem Zeitpunkt der Identifizierung, die erst acht Jahre nach Grams' Tod vorgenommen wurde. Auf eine Anfrage der PDS-Bundestagsfraktion hatte die Bundesanwaltschaft zugegeben, dass eine Überprüfung von Haaren auch zu einem früheren Zeitpunkt ohne eine DNA-Analyse möglich gewesen wäre, diese aber nicht durchgeführt worden war, weil nach Grams Tod zwar eine Blut-, aber keine Haarprobe entnommen worden sei.[9][10][11]
Die Journalistin Regine Igel hat für ihr Buch Terrorjahre. Die dunkle Seite der CIA in Italien italienische Justizakten gesichtet und Interviews mit Richtern und Staatsanwälten geführt. Sie vertritt die Auffassung, dass die RAF schon früher als von Wisnewski behauptet von Geheimdiensten unterwandert und instrumentalisiert worden sei, was im Fall der italienischen Roten Brigaden bewiesen sei.[12] Dies stützt sie unter anderem auf Ermittlungsergebnisse der italienischen Justiz, die auf eine Zusammenarbeit der beiden Gruppen bei der Entführung von Aldo Moro schließen lassen. An der Entführung waren laut der Untersuchungskommission Terrorismus und Massaker des italienischen Senats und Erkenntnissen der italienischen Justiz mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Geheimdienste beteiligt.[12][13] Die Tatsache, dass die Zusammenhänge zwischen der RAF und Geheimdiensten in Deutschland praktisch unbekannt seien und nie offiziell untersucht wurden, begründete Igel mit der gesetzlich festgelegten Weisungsgebundenheit der deutschen Staatsanwälte durch die Politik. Anders als in Italien würde auf diese Weise die Untersuchung der Verwicklung staatlicher Stellen in den Terrorismus blockiert.[12][14]
Die für die Morde an Ernst Zimmermann, Karl Heinz Beckurts, Gerold von Braunmühl, Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder verantwortlichen Täter wurden bis heute nicht zweifelsfrei identifiziert. Die einzigen in diesem Zusammenhang genannten Personen, Horst Ludwig Meyer und Wolfgang Grams, starben bei Verhaftungsversuchen.
Literatur:
Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber, Ekkehard Sieker: Das RAF-Phantom. Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen. Droemer Knaur, München, 2. Auflage, Februar 1997, ISBN 3-426-80010-1
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Referenzen [Bearbeiten]
1. ↑ Vom RAF-Phantom eingeholt. Proteste gegen Durchsuchung bei Monitor-Mitarbeitern. Süddeutsche Zeitung, 3. März 1994
2. ↑ Gerd Rosenkranz: Im Nebel der „Dritten RAF-Generation”. taz – die tageszeitung, 23. Januar 1993
3. ↑ Alexander Straßner, Die dritte Generation der "Roten Armee Fraktion". Entstehung, Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation, VS-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3531141147, S. 295
4. ↑ Bundestagsdrucksache 13/533 vom 13. Februar 1995: Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion: Der Kronzeuge Siegfried Nonne und die Rolle der Sicherheitsbehörden.
5. ↑ Hogefeld über die Rote Armee Fraktion: "Wir waren sehr deutsch". Der Spiegel, Nr. 42, 13. Oktober 1997, S. 169
6. ↑ Das „RAF-Phantom“ nimmt Gestalt an - Nach zehn Jahren erste heiße Spur im Mordfall Rohwedder, afp 16. Mai 2001
7. ↑ Mordfall Rohwedder: Hogefeld soll vernommen werden, WDR online, 17.Mai 2001
8. ↑ Helmut Lorscheid: DNA-Analyse als Stimmungsmache? Generalbundesanwalt verweigert Angaben zum angeblichen "Grams-Haarfund". Telepolis, 3. Juli 2001
9. ↑ Bundestagsdrucksache 14/6297 vom 18. Juni 2001: Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS: Neue Verdachtsmomente des Generalbundesanwalts im Mordfall Rohwedder und Berichte über eine angebliche „neue RAF“.
10. ↑ Bundestagsdrucksache 14/6525 vom 2. Juli 2001: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Fraktion der PDS.
11. ↑ Helmut Lorscheid: Nichts genaues weiß man nicht. Kleine Anfrage bezüglich Grams-"Haarfund" wirft nur neue Fragen auf., Telepolis, 9. Juli 2001
12. ↑ a b c Regine Igel: Linksterrorismus fremdgesteuert? Die Kooperation von RAF, Roten Brigaden, CIA und KGB. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. Oktober 2007, S. 1230 (PDF, Abgerufen am 20. August 2008).
13. ↑ Politische Morde (4) Der Fall Aldo Moro. In: 3sat.online. 7. Oktober 2004. Abgerufen am 1. September 2008.
14. ↑ Regine Igel: Kein Maulkorb für den Staatsanwalt. In: Blätter für deutsche und internationale Politik. November 2003, S. 1380–1389 (blaetter.de, Abgerufen am 30. August 2008).
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Das_RAF-Phantom (14. März 2009)
-.-
Das Phantom ist eine preisgekrönte TV-Produktion des Jahres 2000. Der Film ist ein Politthriller auf der Grundlage des Buches Das RAF-Phantom, der die verbreitete Verschwörungstheorie zum Attentat auf Alfred Herrhausen in Szene setzt. Der Film spielt mit einigen Rückblenden und Originalmaterial des Attentats.
http://de.wikipedia.org/wiki/Das_Phantom_(2000)-.-
[...] Das frühere RAF-Mitglied Verena Becker hat als Informantin für den Verfassungsschutz gearbeitet. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte am Mittwoch in Berlin: «Wenn der Verfassungssschutz mit Quellen arbeitet, wie Informanten, die sich zur Verfügung stellen, um über ganz bestimmte Sachverhalte Auskunft zu geben, so wie es damals auch Frau Becker getan hat, dann basiert das immer auf der Geschäftsgrundlage der Zusicherung der Geheimhaltung.» Ein Verfassungsschutz sei auf solche Quellen angewiesen.
Der Sprecher machte auch deutlich, dass ein Antrag der Bundesanwaltschaft auf Herausgabe von Akten sorgfältig geprüft werde, sobald er im Innenministerium vorliege. Die Akten seien mit einem Sperrvermerk versehen, so dass sie nicht gerichtsverwertbar seien. Nun müsse erneut geprüft werden, ob das Geheimhaltungsinteresse des Verfassungsschutzes oder das Strafverfolgungsinteresse des Staates höher einzustufen sei.
...
gxb/AFP
Aus: "Verfassungsschutz - Ex-RAF-Mitglied Becker arbeitete als Informantin" (02.09.2009)
Quelle:
http://www.focus.de/panorama/vermischtes/verfassungsschutz-ex-raf-mitglied-becker-arbeitete-als-informantin_aid_432070.html